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Dr. Max Dobretsberger: Copernicus Projekt - Kurzdarstellung

Datum: 29.10.2011

Gottfried Brem (Hg.) Der Lipizzaner im Spiegel der Wissenschaften 2011, 338 Seiten mit zahlreichen Farb- und SW-Abb., Karton, 29,7x21cm, ISBN 978-3-7001-6917-8, EUR 69,--
In allen Buchhandlungen, wie auch im Shop der Spanischen Hofreitschule erhältlich.

"Klassische Reitkunst ist Kunst und Wissenschaft“. Dieser Ausspruch von Hans Hadler, einem ehemaligen langjährigen Leiter der Spanischen Hofreitschule, ist in gewisser Weise ein Motto des vorliegenden Buches. Es widmet sich zwar nicht der Reitkunst im engeren Sinn, aber es handelt von den für die höchste Vollendung klassischer Reitkunst eingesetzten Lipizzanern. Beginnend mit künstlerisch reich illustrierten Kapiteln über die historischen Wurzeln der Lipizzaner und die Wechselfälle ihrer Geschichte, sowie der Entwicklung der Gestüte, Hengststämme und Stutenfamilien und bis hin zur Spanischen Reitschule werden wichtige Grundlagen der Zucht und Dressur aufgezeigt. Der Hauptteil des Werkes präsentiert eine Zusammenschau wissenschaftlicher Arbeiten über diese einmalige Pferderasse. Im Rahmen eines, von der EU und Landes-Ministerien dankenswerterweise finanziell unterstützen, groß angelegten Forschungsvorhabens wurde die Lipizzanerpopulation von einem internationalen Team ab 1997 eingehend untersucht. Ziel war es, durch zuchtgeschichtliche Studien, Stammbaumanalysen, veterinärmedizinische Fragestellungen, morphometrische Charakterisierungen, Studien zur Farbvererbung, populationsgenetische Auswertungen und molekulargenetische Typisierungen die Einzigartigkeit der Lipizzaner zu erfassen und wissenschaftlich fundiert darzustellen.


Dr. Max Dobretsberger: Copernicus Projekt - Kurzdarstellung:

Das vorrangige Ziel dieses Forschungsprojektes war die Dokumentation der derzeitigen Situation in der Lipizzanerzucht. Generell wurden jene Parameter und Fragestellungen untersucht, bei welchen ein erweiterter Wissensstand eine wesentliche Hilfestellung in der Erhaltungszucht dieser Rasse gewährleisten kann, und die für die zukünftige Zuchtarbeit von Bedeutung sind.

Ziele:

  • Vergleich bestehender Informationen mit jenen der derzeitigen Situation.

  • Eine ausführliche Beschreibung der Pferde und Zuchtziele der einzelnen Gestüte mittels morphometrischer Methoden.

  • Die Beschreibung genetischer Diversität anhand von Blutgruppen, Proteinpolymorphismen, (Equine Leukocyte Antigen class I) und DNA Markern (mitochondriale DNA, DNA Mikrosatelliten).

  • Die Charakterisierung Immunogenetischer Parameter (Equine Leukocyte Antigen class I, Immunoglobulin E level)

  • Erforschung von Zusammenhängen zwischen genetischen Informationen und den anderen Daten

  • Berechnung genetischer Diversität anhand von Pedigreeinformationen und der Vergleich zu molekulargenetischen Ergebnissen

  • Erarbeitung der Vorteile moderner Methoden mit Bezug auf die Erhaltung der Lipizzanerpferdezucht und generell für die Konservierung anderer domestizierter Nutztiere (im Speziellen Pferde)

Kurze Beschreibung

Die Daten wurden in folgenden Staatsgestüten Europas erhoben: Österreich (Piber and Spanische Hofreitschule), Slowenien (Lipica), Italien (Monterotondo), Ungarn (Szilvásvárad), Slowakei (Topolcianky), Kroatien (Djakovo) und Rumänien (Beclean und Fagaras). Insgesamt wurden 568 Lipizzaner Pferde untersucht. Aufgrund der engen genealogischen Beziehung zwischen Lipizzanern und Kladrubern, wurden auch 50 Kladruber Pferde in das Projekt miteinbezogen.

Charakterisierung des Exterieurs (AT, HU, SI, BE)

Die allgemeinen Charakteristika der aktuellen Pferde der jeweiligen Gestüte wurden anhand von Fotos und Videoaufzeichnungen dokumentiert. Für die detaillierte Beschreibung des Exterieurs wurden die Pferde systematisch vermessen: es wurden insgesamt 37 Distanz­- und Winkelmaße von Zuchtstuten und Hengsten abgenommen (Gesamtanzahl 513 Pferde). Für die Bestimmung der Wiederholbarkeit wurden 100 Stuten zweimal unabhängig voneinander vermessen. Das erhaltene Material wurde statistisch gründlich ausgewertet mit Augenmerk auf die Unterschiede zwischen den Gestüten, die neben deren genetischen Bestand auch durch eigene Zucht - und Nutzungsziele definiert sind. 368 Lipizzanerstuten wurden für die Heritabilitätschätzung der einzelnen Messmerkmale herangezogen, um so Aufschluss über die genetische Determinierung und die züchterische Relevanz einzelner Merkmale zu erlangen.

Pedigree Analyse (AT, HU, BE)

Die Zuchtgeschichte des Lipizzaners ist aufgrund der bis ins 18. Jahrhundert reichenden Gestütsbücher äußerst gut dokumentiert. Diese tiefen Pedigrees boten eine Fülle an Informationen bezüglich der genetischen Zusammensetzung der einzelnen Gestütspopulationen. Die Stammbäume von 565 Pferden wurden während einzelner Gestütsbesuche erfasst. Folgende Parameter wurden anhand Abstammungsinformationen berechnet: Inzuchtkoeffizienten, effektive Anzahl an Gründertieren, effektive Anzahl an Gründer Genomen, und die effektive Anzahl an Ahnen.
Genetische Diversität: Blut Gruppen, Equine Leukocyte Antigen (ELA) class I Proteinpolymorphismen und DNA Marker (AT, SI, HU, CH) Für die Bestimmung der genetischen Diversität anhand molekulargenetischer Informationen wurden von 566 Pferden aus acht europäischen Staatsgestüten Blutproben entnommnen. Die Blutproben dienten als Ausgangsmaterial für die Typisierung von 22 autosomalen13AMikrosatelliten (MS)- Markern sowie die Sequenzierung von definierten Mitochondrien(mt)DNA‑Abschnitten. Außerdem wurden aus den Blutproben Chromosomenpräparate hergestellt und zytogenetisch untersucht. Insgesamt wurden 22 pferdespezifische DNA - MS - Marker, die Q auf verschiedenen Chromosomen lokalisiert sind, untersucht. Die Marker wurden so ausgewählt, dass die erhaltenen Ergebnisse möglichst gut mit denen aus anderen Untersuchungen verglichen werden konnten. Neben den DNA-MS-Markern wurden zwei variable Segmente aus dem D-loop der mt-DNA amplifiziert und anschließend sequenziert. Mit diesen Daten wurden wissenschaftliche Fragen wie Heterozygotiegrad, genetische Differenzierung, genetische Distanzen erörtert. Diese Methoden stammten ursprünglich aus der Biologie und wurden zur Erforschung von Wildtierpopulationen ohne Abstammungsinformation verwendet.
Kurzfassung Ergebnisse Genetische Marker: Aus den molekulargenetischen Analysen (DNA-Mikrosatelliten und mt-DNA) von 566 Lipizzanern und 50 Kladrubern wurde deutlich, dass die Lipizzaner eine relativ homogene Population darstellen, die sich aber deutlich von den ihnen nahe stehenden Kladrubern unterscheidet. Eine stärkere genetische Differenzierung zwischen Lipizzanerpopulationen wäre überraschend gewesen, weil alle untersuchten Gestüte Beziehungen zur "Urpopulation" in Lipica aufweisen. Zudem ist es in der Zuchtgeschichte des Lipizzaners immer wieder zur Zusammenführung einzelner Populationen (Gestüte) bzw. zum Austausch von Zuchttieren zwischen Gestüten gekommen. Dieser "Genfluß" trägt dazu bei, dass genetische Unterschiede zwischen Populationen fortdauernd nivelliert werden. Trotz der relativen genetischen Homogenität der Lipizzanerrasse lassen lässt sich zwischen manchen Gestüten auch eine stärkere Differenzierung nachweisen. Genetisch relativ ähnlich sind sich die Gestüte Lipica, Monterotondo und Piber bzw. die rumänischen Gestüte Beclean und Fagaras. Die rumänischen Lipizzaner setzen sich jedoch deutlich von den restlichen Gestüten ab. Dies könnte vor allem daran liegen, dass in Rumänien häufiger auf Stutenlinien zurückgegriffen wurde, welche in den anderen Gestüten nicht zur Zucht eingesetzt wurden. Inwieweit die Stellung der rumänischen Gestüte im Hinblick auf die Gesamtdiversität des Lipizzaners besonders zu bewerten ist, sollte diskutiert werden. Hinsichtlich der genetischen Diversität gibt es keine auffallenden Unterschiede zwischen den untersuchten Lipizzanergestüten. Lipizzaner weisen trotz der vergleichsweise geringen Populationsgröße keine geringere Alleldiversität oder Heterozygotie als andere Pferderassen auf. Die molekulargenetischen Daten lassen nicht erkennen, dass Verwandtschaftspaarung (Inzucht) im großen Ausmaß stattfindet. Zytogenetische Untersuchungen ergaben ebenfalls keinen Hinweis auf auffällige Aberrationen, so dass sich die untersuchte Lipizzanerpopulation als "normale" Pferderasse darstellt.
Auffallend war, dass die genetischen Untersuchungen von DNA-Mikrosatelliten und mt-DNA mehrfach Widersprüche zwischen tatsächlicher und der im Stammbaum dokumentierten Abstammung aufdeckten. Es fiel insbesondere der vergleichsweise hohe Anteil (7 %) an falschen Mutterschaften auf. Es zeigte sich, dass dieses Problem vor allem im italienischen Gestüt Monterotondo auftritt, wo jede dritte untersuchte Abstammung falsch war. Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Fohlen und Mutter werden wahrscheinlich durch das in Monterotondo praktizierte Haltungssystem (Weidehaltung in Kleinherden) begünstigt. mtDNA-Analysen konnten zudem belegen, dass in 28,5 % der untersuchten mütterlichen Linien mindestens einmal eine falsche Abstammung ins Zuchtbuch eingetragen wurde.

Pedigrees

Die über den langen Zeitraum der vorhandenen Aufzeichnung kumulierte Inzucht liegt bei 10 Prozent, es gibt allerdings doch wesentliche Unterschiede zwischen den Gestüten. Am höchsten ist der Inzuchtkoeffizient in Monterotondo, wo eine relativ kleine Herde in den letzen 50 Jahren in vergleichsweiser Isolation geführt wurde. Die geringste Inzucht weist Djakovo auf, wo in den letzten Jahrzehnten Hengste aus verschiedenen Gestüten massiv eingesetzt wurden.

Berechnet man den Inzuchtgrad aus den in der Pferdezucht üblichen 5-GenerationenPedigrees, so ergibt sich ein Inzuchtgrad von rund 2 % (reicht von 1,3 % in Djakovo bis 3,7 % in Monterotondo). Ähnliche Inzuchtgrade wurden in vielen, auch größeren Pferdepopulationen gefunden.

Bezüglich der Verwandtschaftsgrade der Pferde verschiedener Gestüte lassen sich 2 Pole erkennen. Die von Pferden aus der klassischen Zucht aus Lipizza dominierten Gestüte Lipica, Monterotondo und Piber auf der einen Seite und die rumänische Zucht auf den Gestüten Fagaras und Beclean andererseits. Djakovo, Szilvasvarad und Topolcianki stehen zwischen diesen beiden Polen, sind aber der klassischen Zucht deutlich näher als der rumänischen.

Ein Verfahren zur Ermittlung der wichtigsten Ahnen der Lipizzanerzucht lieferte teilweise überraschende Ergebnisse. Der wichtigste Vererber der Lipizzanerzucht ist Favory Ratisbona 11 (1829), auf den 10,74 % aller Gene der aktuellen Lipizzanerpopulation zurückgehen. Der zweitwichtigste Vererber ist Favory Onerosa (1819) mit 8,69 % Genanteil. Dieser Hengst taucht in keiner Stammtafel auf, weil er seine Gene ausschließlich über seine Töchter bzw. deren Söhne an die Population weitergab. Insgesamt erklären die 10 wichtigsten Ahnen fast 60 % der in der aktuellen Population vorhandenen Gene.

Exterieur

Das Ziel war eine genaue Charakterisierung der Subpopulationen (Gestüte), um eventuell auftretende Unterschiede festzustellen, die bei einem möglichen Zuchttieraustausch zu berücksichtigen sind, bzw. stellt sich die Frage, inwieweit verschiedene Zuchtziele wirken. Die Pferde der einzelnen Gestüte unterscheiden sich in der überwiegenden Anzahl der Messmerkmalen signifikant (Stuten in 34 von 37; Hengste in 29 von 37 Messmerkmalen). Die Wiederholbarkeiten der Messungen ergeben ein gutes Abbild der Schwierigkeiten, die beim Messvorgang bei den einzelnen Messmerkmalen auftreten. Jene Messmerkmale, die in der Pferdebeurteilung am häufigsten erfasst werden (Widerristhöhe 0,95, Röhrbeinumfang 0,95) zeichnen sich durch eine sehr hohe Wiederholbarkeit aus, der Brustumfang jedoch ist durch eine nur mittlere Wiederholbarkeit von 0,45 gekennzeichnet. Generell zeigen Längenmaße eine wesentlich bessere Wiederholbarkeit als Winkelmaße, außer den Hufwinkeln (vorne 0,70, hinten 0,81) und der Beckenachse mit 0,86, im Bereich von 0,33 bis 0,53 liegen. Die gefundenen Heritabilitäten für die einzelnen Messmerkmale liegen zum größten Teil in dem auch in der Literatur angegebenen Bereichen. Die Ergebnisse der Heritabilitätsschätzung sind jedoch durch den geringen Datensatz durch eine gewisse Inkonzistenz gekennzeichnet, ersichtlich durch stark unterschiedliche Werte in den hochkorrelierten Merkmalen Widerristhöhe (0,52) und Kreuzbeinhöhe (0,15). Alle angewandten multivariaten Methoden zeigen signifikante Unterschiede zwischen den Pferden der einzelnen Gestüte aufgrund morphometrischer Messungen. Unterschiede werden sowohl bei Einzelmerkmalen (stufenweise Diskriminanzanalyse), wie auch unter der Einbeziehung aller Merkmale (kanonische Diskriminanzanalyse) gefunden.

Schlussfolgerung

Abschließend kann festgestellt werden, dass mit diesem Projekt erstmals ein umfassendes..­Programmpaket und wissenschaftlicher Kanon für die Dokumentation einer Pferdepopulation die außerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbsgefüges steht, erstellt wurde. Ebenfalls einzigartig war, dass in dieser Forschungsarbeit eine komplette Stammpopulation, die acht Staatsgestüte umfasst, wissenschaftlich analysiert wurde. Kennzeichnend für diese Gestüte und die staatliche Lipizzanerzucht im Allgemeinen ist, dass sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen geführt werden, sondern im Wesentlichen der Erhaltung von Kulturerbe, in diesem Fall einer ehem. Population von kaiserlichen Paradepferden, dienen. Aus diesem Grund sollten sowohl die Tätigkeiten der Gestüte als auch die der leitenden staatlichen Stellen, welche ihre Arbeit in einer monetär bestimmten Gesellschaft vollbringen, gewürdigt werden. Die Ergebnisse aus dem Copernicus Projekt wurden in einer Vielfalt an wissenschaftlichen Publikationen der Fachwelt zugänglich gemacht. Neben diesen Publikationen liegt auch eine Fülle an Informationen und gesammelten Daten bereit. Insofern wurde in der dreijährigen Laufzeit dieses Projekts zeitgemäße Grundlagenarbeit geleistet, die weitere Schritte in der zukünftigen Entwicklung der Lipizzanerpferde Rasse erleichtern soll. Eine weitere Auswirkung war die Öffentlichkeitswirksamkeit dieses Projektes. Über mehrere Jahre hinweg war das Lipizzanerpferd in der Wissenschaftspresse als auch in den populären Medien präsent. Gerade auf tierzüchterischen und genetischen Fachtagungen wurde diese Rasse durch die beteiligten Wissenschaftler vertreten und international zum Thema gemacht. Die weitere, nach Ende des Copernicus Projekts durchgeführte Wissenschaftliche Arbeit hält bis heute an, und verdeutlicht die Bedeutung dieses geschaffenen Fundus.

Abschließend entwickelten sich in der jahrelangen Kooperation zwischen Gestüten und Wissenschaftlern aus ganz Europa enge Kontakte, welche sich mittlerweile zu einem Netzwerk ausgewachsen haben. So gesehen stellt dieses internationale Forschungsprojekt eine Basis für breit angelegte weitere Entwicklungen dar.

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Der Lipizzaner im Spiegel der Wissenschaften

 
       
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